Von Andreas Blaser
Der moderne Patient des 21. Jahrhunderts kommt nicht selten zu seinem Hausarzt und hält diesem Handy oder Tablet unter die Nase mit Webseiten oder Apps, die bereits mehr oder wenige genaue Diagnosen seiner Krankheit und die entsprechenden Therapieempfehlungen geben. Manche erzählen auch nur, sie hätten dies und jenes dort und dort gefunden und gelesen . . . Für den Mediziner ist es dann meist unmöglich oder schwierig nachzuvollziehen, woher der Patient seine Informationen hat. Bei der Vielzahl der Gesundheits-Websites und -Apps allein von letzteren gibt es weltweit mehr als 350 000 ist es dem Hausarzt zudem nahezu unmöglich, den Überblick zu bewahren oder gar eine qualifizierte Bewertung abzugeben. Die Stuttgarter Hochschule für Medien diagnostizierte in einer entsprechenden Studie eine Parallelwelt zur Regelversorgung. Allein in Deutschland gebe es 45 Millionen Gesundheits-Surfer und -App-Nutzer.
Hier setzt die Barmer-Krankenkasse mit einem Projekt an, das sie unter anderem in Berlin-Brandenburg testet und am Dienstag vorstellte. In Brandenburg gibt es dabei zwei Schwerpunkte: Frankfurt (Oder) und die Lausitz, weil auch bewusst in kleineren Städten und Orten das Angebot getestet werden soll. Gemeinsam mit Hausärzten entwickelte die Barmer eine Sammlung von Apps, die letztlich dem Patienten zu einer besseren Gesundheit verhelfen soll. Diese Auswahl von Apps folgt klaren Kriterien, so dass am Ende für Patientenbeschwerden wie Diabetes, Schwindel oder Kopfschmerz pro Bereich nur noch ein, zwei Apps übrig bleiben die der Hausarzt auch kennt und guten Gewissens empfehlen kann. Zurzeit sind zwölf Apps für acht Anwendungsbereiche verfügbar: Das reicht von Rückenschmerzen über chronische und allgemeine Schmerzen bis zu Stress und Schwindel. Auch die Themen Ernährung und Diabetes werden abgedeckt. Apps gibt es zudem für die Bereiche Reiseschutz und Hausmittel.
Auf deutsch, einfach bedienbar, kostenfrei und fachlich top
Nach welchen Qualitätskriterien die Tausenden Apps gefiltert worden, benennt Dr. Frederike Escher-Brecht. Die Projektleiterin vom Barmer-Innovationscenter Barmer i. verweist auf die deutsche Sprache und die einfache Bedienbarkeit. Die Apps müssten zudem kostenfrei und von Fachleuten entwickelt sein. Ärzte hätten die infrage kommenden Themenbereiche ausgewählt. Jede in die nähere Auswahl gekommene App wurde zudem von Kassen-Experten mehrere Tage getestet, bevor letztlich dann Ärzte ihre Schlussbewertung abgegeben haben. Auch stehe das Projekt Mitgliedern anderer Krankenkassen offen. Gleichwohl wolle man sich natürlich als Digitalberater bei Ärzten etablieren, heißt es seitens der Barmer.
Wie das Projekt in der Praxis abläuft, beschreibt Dr. med. Erhard Kiesel, Hausarzt aus Crinitz im Elbe-Elster-Kreis und einer von rund 50 Medizinern, die in Südbrandenburg das Barmer-Projekt begleiten. Kiesel hat am Tag etwa zwei, drei Patienten, für die Leistungen des Projekts infrage kommen. Das scheint noch wenig. Der Facharzt für Chirurgie gibt aber zu bedenken, dass er sich wie das gesamte Projekt noch in der Testphase befindet. Auch sei er nun nicht so technikaffin wie mancher aus der jüngeren Generation. Damit entspricht der 61-Jährige aber auch dem Altersbild eines Großteils seiner Patienten. Viele von denen würden aus seiner Praxis eher die Projektflyer mitnehmen und sich so informieren, vielleicht später dann über Kinder und Enkel dann Zugang zu den Apps finden.
Kiesel nennt als gutes Projektbeispiel die App Tebonin, mittels derer er Patienten mit der Diagnose Lagerungsschwindel gut erklären kann, mit welchen Übungen sie etwas dagegen unternehmen können. Die auch Epley-Manöver genannten Übungen zu erläutern oder ausgedruckt weiterzugeben, sei viel zu kompliziert und zeitaufwendig. Mit der App sei das viel einfacher, da diese den Patienten durch die Übungen führt. Erste Erfahrungen zeigen, dass Apps die Mitwirkung der Patienten an der Therapie deutlich erhöhen. Die in den Apps enthaltenen Module wie Erinnerungsfunktionen oder Erklärfilme erleichtern es den Patienten, zum Beispiel regelmäßig Rückenübungen zu absolvieren, verweist der Crinitzer Hausarzt auf einen anderen Bereich.
Die Apps geben keine Diagnose- oder Therapieempfehlungen
Gerade dieses sinnvolle Integrieren in den Alltag der Patienten macht aus Sicht von Stefan Faber, dem Cottbuser Barmer-Hauptgeschäftsführer, die Attraktivität und Besonderheit des Projektes aus. Ziel sei es, zu erproben, inwieweit Apps die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten verbessern und das Selbstmanagement des Patienten zu Hause stärken können. Vereinfacht gesagt: Hilfe zur Selbsthilfe, aber keinesfalls Diagnose- und Therapieempfehlungen.
Dass das Interesse bei Hausärzten und deren Patienten groß ist, zeigen laut Kasse Nachfragen zu Apps für andere Krankheitsbilder wie die koronare Herzkrankheit und Depressionen oder auch die Nichtraucher-Programme. Auch Kinderärzte hätten bereits mehrfach nachgefragt, zumal junge Mütter ohnehin spätestens in der Schwangerschaft die ersten Gesundheits-Apps nutzen würden.